Das ganze Jahr über hat Josh das Rapgeschehen montags in den Rapnews auf Instagram zusammengefasst. Jetzt, wo sich 2019 dem Ende neigt, hat er die acht besten Releases des Jahres gesammelt: Von Untergrundhelden wie Döll, über Kritikerlieblinge wie Tua, bis hin zu den absoluten Superstars wie Shindy, Rin oder Apache 207 ist alles mit dabei.
Nie oder Jetzt: Das Debütalbum von Döll
Bereits die zweite Januarwoche bescherte ein erstes Highlight: „Nie oder Jetzt“ von Döll. Auf dieses Album haben, seit der „Weit Entfernt“-EP 2014, sehr viele Leute gewartet. Döll ist das, was man einen „Geheimtipp“ nennt – für sein Können viel zu unbekannt, doch wer ihn kennt, liebt ihn. Zu seinen Fans zählen z.B. auch Fynn Kliemann oder Henning May, der Döll sogar schon als Texter für den Song „Weiße Wand“ mit ins Studio genommen hat.
Fünf Jahre hat er gebraucht seit der ersten EP, er hat sich an seinem Debütalbum wirklich die Zähne ausgebissen. Wenn man sich die Themen der Platte anhört, weiß man auch schnell warum. Döll lässt unglaublich tief blicken, thematisiert u.a. seine Spielsucht, Ex-Freundinnen, Suizidgedanken oder auch die starke Bindung zu seinem großen Bruder, dem Rapper Mädness.
Diese ungefilterte Ehrlichkeit, gepaart mit seinen Skills, lassen „Nie oder Jetzt“ schon heute wie ein Album klingen, das man später einen Klassiker nennen wird.
10 Jahre Wartezeit: Tua mit dem Nachfolger zu „Grau“
Dass solche Klassiker nicht immer Kassenschlager sein müssen, hat Tua bereits vor zehn Jahren bewiesen. Sein Album „Grau“ gilt heute als Klassiker, für viele sogar als das beste Deutschrapalbum jemals. Damals schaffte es das Album nicht einmal in die Charts und verkaufte sich schlecht bis gar nicht.
Im März 2019, zehn Jahre später, erschien mit „Tua“ der Nachfolger. Ein von vorne bis hinten durchkonzipiertes Meisterwerk, das jede Menge zu bieten hat. Mit jedem Mal Hören entdeckt man ein weiteres Detail, das man vorher nicht bemerkt hat.
Ich kann nur raten: Hör dir „Grau“ an, dann hör dir „Tua“ an und lass dich dabei voll und ganz auf die Musik ein. Am besten mit Kopfhörern, Augen zu und ohne jede Ablenkung. Dann wird dich das Album fesseln und in seinen Bann ziehen. Empfehlen kann ich hierfür auch die kurzen „Track by Track“-Clips auf Tuas Instagramseite. Die geben einen kleinen Einblick darüber, wie viel Detailversessenheit in so einem Tua-Song stecken kann.
Shindy mit dem Comeback des Jahres
Über zwei Jahre war Shindy mehr oder minder verschwunden. Nach der Trennung von Bushidos Label ersguterjunge deaktivierte er sogar alle sozialen Kanäle. Im Januar kam dann das große Wiedersehen und die erste Single „Dodi“. Darauf folgten einige weitere Singles und letzten Endes das neue Album „Drama“. Shindy hat sich neu erfunden.
Ja, die Arroganz ist noch immer die gleiche, auch seine Vorliebe für Edelmarken und das Dolce Vita hat er nicht verloren. Doch im Vordergrund des Albums steht zweifelsohne seine Liebe zu Rap.
„Drama“ ist durchzogen von Referenzen. Hier ein bekanntes Sample, da eine Hommage, dort ein Zitat. Besonders die frühen 2000er haben es ihm angetan. Damit hat er bereits jetzt einen neuen Trend im deutschen Rap gestartet. Zum Beispiel nutzte danach Fler für den Song „Shirinbae“ ebenfalls ein bekanntes Sample aus dieser Zeit, nämlich das aus „Make me better“ von Fabolous. Oder auch Rin, der sich für „Vintage“ bei „Dirt off your Shoulder“ von Jay-Z bediente. Ganz großes Album!
Juju startet ihre Solokarriere
…und macht dabei alles richtig. Mit ihrem Debütalbum „Bling Bling“ hat Juju sofort bewiesen, dass sie auch als Solokünstlerin auf ganzer Linie überzeugt. Das Album ist ein bunter Mix aus verschiedensten Stilrichtungen. Im „Intro“ zeigt sie, was sie kann, auf Songs wie „Hardcore High“ oder „Live Bitch“ lädt sie zum Feiern ein und mit „Vermissen“ hat sie gemeinsam mit Henning May eine der wohl größten Singles des Jahres gebracht. Im September hat ihr der Song bereits ihre erste Platinauszeichnung beschert.
Trettmann tritt schweres Erbe an
Vor zwei Jahren hat er mit „#DIY“ das Album des Jahres gemacht, dieses Jahr mindestens eines der besten. Den Nachfolger von so einem Album zu machen, ist nicht leicht. Dennoch haben Tretti und Kitschkrieg (mal wieder) einen wahnsinnig guten Job gemacht.
„Trettmann“ entfernt noch weiter vom deutschen Rap als der Vorgänger und liefert eine Soundästhetik, welche zumindest in Deutschland nichts Vergleichbares finden lässt. Im Großen und Ganzen ist die Platte auch etwas heller und positiver, obwohl sie mit Songs wie „Bye Bye“ oder „Stolpersteine“ auch extrem bedrückende Momente hat. Allen voran „Stolpersteine“ – ein Song gegen das Vergessen der Opfer des Nationalsozialismus, stilvoll verpackt als Storyteller, der erzählt wie Tretti am frühen Morgen vom Feiern kommt.
Dabei stolpert er über eben einen solchen Stein und malt sich aus, wie wohl das Leben der Frau gewesen sein mag – ganz großer Song! Der Einfluss des Songs wurde auch sofort bemerkbar:
„Geist“ ist das Album des Jahres
Das, was vor zwei Jahren „#DIY“ war, ist dieses Jahr „Geist“. OG Keemo und sein Produzent Funkvater Frank lieferten den Konsens, auf den sich ganz Rap-Deutschland einigen konnte. Egal ob andere Künstler, Journalisten, Leute aus der Musikindustrie – „Geist“ liebten alle. Zu Recht.
Das Album hat ein klares Konzept. Die „Geist“-Figur zieht sich durch die gesamte Platte und setzt sich zusammen aus Attributen, die ihr auf verschiedenen Songs zugesprochen werden. Hinzu kommen die Produktionen von Funkvater Frank, die bereits seit der ersten EP der beiden als grandios gelten.
Frank mischt verschiedene Styles miteinander, wie es bisher kaum einer gemacht hat. Zum Beispiel verwendet er Soul-Samples, wie man sie für einen klassischen Boom Bap-Beat verwenden würde, der nach 90ern klingen soll. Die kombiniert er dann aber zusammen mit modernen Trap-Drums und schafft so einen ganz eigenen, einzigartigen Sound.
Über die überdurchschnittlichen Rapskills von Keemo sollte spätestens seit 2018 und dem Song „Vorwort“ ohnehin keine Zweifel mehr bestehen.
Apache 207: Der Gangster, der ab und an das Tanzbein schwingt
Spricht man über die Highlights im Deutschrap 2019 darf ein Mann natürlich nicht fehlen: Apache 207. Sein Werdegang ist wirklich einzigartig. Innerhalb weniger Monate hat er sich von einem Unbekannten, zu einem Geheimtipp und Kritikerliebling und schließlich zu einem absoluten Superstar entwickelt.
Obwohl der Song erst im August erschien, ist „Roller“ mit 103 Millionen Streams der meistgestreamte deutschsprachige Song 2019. Nicht schlecht für jemanden, den im Januar nur die Wenigsten kannten. Aber seine melodischen Songs und auch besonders sein charmanter Humor, begeisterten in kürzester Zeit scheinbar Millionen.
Mit Rin ins „Nimmerland“
Kurz vor Jahresende gab es nochmal ein richtiges Highlight, als am 6. Dezember Rins zweites Album „Nimmerland“ erschien. Wie die Peter Pan-Referenz im Titel schon suggeriert, handelt es vom Erwachsenwerden. Rin ist nicht mehr der junge, unbeschwerte Typ, der schwarzfährt und donnerstags auf den neuesten Drop einer bestimmten Marke wartet.
Das zeigt sich sowohl inhaltlich als auch in der Form. Anders als „Eros“ verfolgt das Album eine stringente Soundästhetik und wirkt viel mehr aus einem Guss heraus. Aber so richtig erwachsen wird und will er auch nicht werden. So flüchtet sich der 25-jährige Rin noch ein letztes Mal in seine Jugend zurück und packt alles in dieses Album, was ihm zu dem gemacht hat, der er heute ist.
„Nimmerland“ ist in gewisser Weise eine Art Popkultur-Mosaik mit etlichen Querverweisen und Referenzen und eine Liebeserklärung an Filme, Alben oder Künstler, die Rin geprägt und inspiriert haben. Wer sich darauf einlässt und gegebenenfalls auch mal etwas recherchiert, wird auf „Nimmerland“ wahnsinnig viel entdecken können und sehr lange Spaß daran haben.